Asche im Wind...
- Heartbeatwords● Gabriela Lutz

- 15. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Trauer und die rohe Wucht dieser Erfahrung in meinen Worten. Über vierzig Jahre verschwinden in einem Zeitraum, der sich anfühlt wie ein Atemzug. Zu kurz und die Fragen, die dabei entstehen, sind scharf und unausweichlich.
Ich schreibe das hier nicht als abstrakte Übung, sondern als persönliche, ehrliche Reaktion auf das, was ich erlebt habe.
Erinnerung und Verlust.
Der Verlust eines Menschen, der dich über Jahrzehnte begleitet hat, ist kein Ereignis, sondern ein sich ausbreitendes Gelände. Erinnerungen sind jetzt keine kleinen Bilder mehr, sie sind Landschaften, in denen du dich immer wieder verlierst. Jeder vertraute Ort, jedes Lied, jede Redewendung wird zu einem Fundstück der Vergangenheit. Diese Verlustlandschaft schmerzt nicht nur wegen der Leere, sondern weil mit ihr auch die Zukunft geteilt, geplant und geträumt worden ist, plötzlich hinfällig wird.
Die letzten Monate neu denken.
Wenn nur noch einige Monate bleiben, schrumpft Zeit auf das Wesentliche. Prioritäten verlagern sich. Routine wird Luxus.
Was dann zählt, ist nicht mehr, was man noch leisten kann, sondern was man noch teilen kann.
Ehrliche Gespräche, Berührungen, Vergebung, das Erzählen von Geschichten. Das sind die Währungen, mit denen man in dieser Zeit zahlt. Kleine Rituale gewinnen Gewicht: das gemeinsame Frühstück, das Halten einer Hand, eine Nachricht, die man nie loswurde.
Die Frage Exit.
Exit ist für viele ein Tabuthema, für andere eine Erlösung. Die Frage ist nicht nur ethisch oder juristisch, sie ist zutiefst persönlich. Für einige bedeutet es Selbstbestimmung und Würde, für andere Verrat an der Hoffnung oder eine Entscheidung, die Hinterbliebene schwer belastet.
Die Beweggründe zu sehen sind imens wichtig.
Kontrolle über den Moment des Gehens, das Ende unvorstellbarer Schmerzen, der Wunsch, den Menschen nicht länger leiden zu sehen. Gleichzeitig bleibt die Trauer bei denen, die bleiben, oft komplizierter, weil das Abschiednehmen verkürzt und anders verläuft.
Wie es mir geht.
Ich versuche Präsenz zu halten, nicht nur körperlich, sondern im Sein. Worte, die ich sagen möchte, sage ich; Schweigen, das heilsam ist, bewahre ich. Ich stelle Fragen, die nicht schlau sein müssen, sondern ehrlich: Was bereust du nicht? Wovon soll ich erzählen, wenn du nicht mehr da bist? Und ich versuche, dem Sterben Raum zu geben, ohne es zu romantisieren:
Schmerzen anerkennen, Hilfen suchen, Nähe erlauben.
Wenn die Person sich für Exit entscheidet, zeige ich Respekt für ihre Autonomie und gleichzeitig werde ich meine eigene Traurigkeit nicht verschämt verbergen.
Abschied anders gestalten.
Abschied kann geplant werden, auch wenn der körperliche Prozess kurz ist. Konkrete Schritte helfen, das Unfassbare zu ordnen: Texte sammeln, Voice-Messages aufnehmen, kleine Rituale schreiben, Orte besuchen, die Bedeutung haben. Ein einfaches Buch mit Erinnerungen, eine Liste mit Lieblingsliedern oder eine letzte gemeinsame Mahlzeit sind Anker, die später Halt geben, wenn nur noch die Asche im Wind bleibt.
Für die Zeit danach.
Die Frage, wie man weiterlebt, ist nicht linear. Trauer ist fragmentiert, sie kommt wellenförmig. Erlaube dir, dass manche Tage produktiv sind und andere nur vom Atemholen bestehen. Suche Verbündete, spreche über Anekdoten, lache auch über banale Dinge. Bewahre die Erinnerung ohne zu versuchen, sie intakt zu konservieren.
Erinnern bedeutet lebendig halten, nicht musealisieren.
Und wenn Fragen zu Exit bleiben, ehrliche Gespräche mit anderen, die ähnliche Wege gegangen sind, oder die bereits Mitglied bei Exit sind und deren ehrlichen Entscheid dazu helfen, das eigene Gefühl einzuordnen.
Der Gedanke an Asche ist brutal, aber er zeigt auch etwas Wichtiges. Alles, was bleibt, sind Spuren in anderen Menschen.
Meine Beziehung von mehreren Jahrzente ist nicht aufgehoben, nur potenziert. Sie lebt in den Erinnerungen, in Geschichten, die ich erzähl, in der Art, wie ich jetzt die Welt betrachte.
Diese Spuren sind kein Trost, das ist nicht genug, aber sie sind ein Versprechen, dass das, was war, weiterwirkt.
-Gabriela Lutz-




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